Niklas Frank an der Waldstraße

Niklas Frank an der Waldstraße: „Ich fühle meinem Vater gegenüber nur noch Verachtung“

Am 12. November 2021 war es der Schulgemeinschaft des Gymnasium Waldstraße Hattingen möglich, eine Lesung des Journalisten und Autors Niklas Frank zu hören und über seine Familiengeschichte zu lernen:

Niklas Frank wuchs mit dem Wissen auf, die Identität des Sohnes eines Kriegsverbrechers, Antisemiten und Massenmörders  zu tragen, denn er ist der Sohn von Hans Frank, dem „Schlächter von Polen“, welcher zeitweise der persönliche Anwalt Adolf Hitlers und einer seiner langjährigen engsten Vertrauten war.  

So war es auch Adolf Hitler, welcher ihn am 12. September 1939 zum obersten Verwalter des damalig besetzten Polens ernannte. Somit wurde ihm die Kontrolle und Macht über die dort liegenden Arbeits-, Vernichtungs- und Konzentrationslager, sowie den dortigen Verlauf der Ausrottung jeglicher jüdischer Kultur und Gesellschaft übertragen.

Seine Gattin war Brigitte Frank, auch bekannt unter dem Namen „die Königin von Polen“, da sie mit Mann und Familie auf der Krakauer Burg „Wawel“ lebte und sich von dort aus nur allzu gern am Hab und Gut der in die Konzentrationslager verschleppten Personen bereicherte. So erzählt Niklas Frank, der jüngste ihrer Kinder, von vollkommen „normalen Ausflügen“ ins Krakauer Ghetto, bei denen er im Mercedes sitzend den Kindern hinter den Zäunen die Zunge rausstreckte, während seine Mutter Schmuck und Pelzmäntel „einkaufte“, welche offensichtlich Eigentum der Inhaftierten waren.

Sollten jene Ereignisse und Tatsachen das Gemüt, die Einstellung sowie den Charakter des nationalsozialistisch motivierten Hans Frank nicht schon genug beschreiben, so tut es vielleicht die Nennung eines Zitates, welches er auf einer Weihnachtsfeier im Jahre 1940 kundtat: „Ich habe freilich in einem Jahr weder sämtliche Läuse, noch sämtliche Juden beseitigen können. Aber im Laufe der Zeit wird sich das schon erreichen lassen.“

Hans Frank, einer der 26 Angeklagten der Nürnberger Prozesse wurde schließlich, aufgrund von „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ für schuldig befunden und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Seinem Schicksal musste sich der Jurist am 16. Oktober 1946 hingeben.

Doch wie nahm der damals siebenjährige Niklas seinen Vater und vor allem seinen Tod wahr?  

Die ersten Erinnerungen an seinen Vater beschreibt Niklas Frank als Momente der Zurückweisung, denn dieser habe ihn lange Zeit nicht als seinen, sondern als den Sohn seines Freundes Karl Lasch gesehen, denn jener hatte eine langjährige Affäre mit seiner Frau Brigitte Frank.  

Als jener Volkswirt und Jurist im Jahr 1942 stirbt, kommentiert Hans Frank es mit den Worten „Jetzt ist Nikis Vater tot“, und auch wenn er sich an eine liebevolle Kindheitserinnerung mit seinem Vater erinnert, zu welcher der Vater, der sich im Badezimmer rasierte, von Niklas Frank aus neugierigen Kinderaugen dabei beobachtete, ihm einen Klecks Rasierschaum auf die Nase tupfte, brannte sich das Gefühl der väterlichen Abweisung in das Gemüt des Jungen.

Doch anders als von einem zurückweisenden Vater erwartend, beurteilt Niklas Frank den Tod seines Vaters als Rettung: „Das Knacken deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben“, wie er in seinem ersten Buch „der Vater, eine Abrechnung“ (1987) kundtat, denn anders als seine weiteren Geschwister verteidigte Niklas seinen Vater nicht als „unschuldiges Opfer der Siegerjustiz“, sondern befasste sich im Erwachsenenalter intensiv mit der Geschichte und der Schuld seines Vaters an der Auslöschung von Millionen unschuldiger Existenzen, denn Niklas Frank fing an die Wut, den Hass und die Verachtung gegenüber seinem Vater zu Papier zu bringen, sodass er in seinen Büchern seinen Vater direkt anspricht, um das loszuwerden, was er ihm nie sagen konnte.

Nun ist es keine Frage, dass das wachsende Verstehen der schrecklichen Hintergründe friedlichster und verankertester  Kindheitserinnerungen einen Menschen dazu veranlassen, sich mit den damaligen Wahrnehmungen und Gefühlen auseinanderzusetzen.  

So beschreibt der Journalist eine Erinnerung, in welcher er von seinem Kindermädchen Hilde zur Außenstelle eines Konzentrationslagers mitgenommen wurde; die Wachleute setzen, um ihn zu bespaßen völlig abgemagerte Häftlinge auf einen Esel, welche sich dementsprechend schwer auf dem Rücken des Tieres halten konnten, als das Tier bockte. Die Männer vielen zu Boden, hatten Schwierigkeiten aufzustehen, doch der junge Niklas fand die Situation „unbändig Lustig“.

Doch auch er hat Kinder: „So sind meine Kinder groß geworden“, antwortet der 82-Jährige auf die Frage, wie seine Kinder und Enkel seine intensive Recherche und die Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung wahrnahmen.

Niklas Frank erzählt, dass er sich die größte Mühe gebe seine Familie über ihre Historik aufzuklären, damit ein Bewusstsein für die Vergangenheit entsteht und das Schicksal der Opfer des „Schlächters von Polen“ und all derer, die unter dem NS-Regime litten nie in Vergessenheit gerät.

„Was würden Sie ihrem Vater sagen, wenn sie ihn noch ein mal begegnen könnten?“, lautete eine Frage aus dem Publikum der Aula des Gymnasium Waldstraße: „Würde er vor meiner Tür stehen, würde ich ihn hereinlassen, ihm ein Bier anbieten und ihn zu meinen Aufzeichnungen und Beweisen führen“, so der Autor, „ich würde ihn dazu bringen alles, was ich über ihn gesammelt habe durchzusehen, um ihm zu zeigen, woran er Schuld hat, solange bis er sie sich eingesteht, ob es Wochen, Tage, oder Monate dauert“, doch er fühle seinem Vater gegenüber „keinen Hass mehr – da ist nur noch Verachtung“.

Zum Ende der Lesung spricht er sich für die Anerkennung der Wichtigkeit von Zivilcourage  aus, denn auf die Frage, ob seine Bücher fester Bestandteil des Curriculums in deutschen Schulen sein sollen, reagiert er belustigt, denn viel wichtiger sei es, „dass Menschen füreinander aufstehen“, so solle es Debattierclubs oder Workshops geben, in denen die Schülerinnen und Schüler lernen nach Prinzipien der Zivilcourage zu handeln, denn diese sei eines der signifikantesten Elemente, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.

Während der gesamten Zeit hingen alle Anwesenden gespannt an den Lippen des Journalisten Hans Frank, denn es ist eine absolute Besonderheit jemandem zuhören zu können, der Sohn eines Mannes ist, welcher eine der größten Täter an den Geschehnissen des Holocausts und der Auslöschung jüdischer Kultur in Deutschland und Polen war. Doch er versteckt sich nicht, sondern spricht offen über die Vergangenheit und seine Familiengeschichte, ohne den Drang sie zu verteidigen.

Niklas Franks Schicksal und sein Umgang mit dem Vergangenen ist absolut bemerkenswert und ein wichtiger Beitrag, damit sich jene Vergangenheit nie wiederholt.

Amelie Honnacker, Q2

Auf dem Gruppenbild sind (v.l.) Alexander Weng (Politiklehrer) Jennifer Lutzke, Helena Happich, Michel Strathmann (Moderationsteam aus der Q2) und Niklas Frank zu sehen

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